Fachtagungsbericht

Bericht zur Landesfachtagung

Frauen und Mädchen im
Salafismus

Anziehungskraft, Täterinnenschaft, Prävention

Dienstag, 11. Juni 2019 von 9:00 bis 16:00 Uhr

Veranstaltungsort: Kiek In!, Gartenstraße 32, 24534 Neumünster

Die salafistische Szene ist männlich dominiert; nur etwa zehn Prozent sind weiblich. Mädchen und Frauen wird oft eine Opferrolle zugeschrieben. Tatsächlich bringen diese sich sehr wohl in die Szene ein und gestalten sie aktiv mit. Insbesondere die Missionierungstätigkeiten von Frauen sind nicht zu unterschätzen. Insgesamt sollte auf der Fachtagung „Mädchen und Frauen im Salafismus – Anziehungskraft, Täterinnenschaft, Prävention“ am 11. Juni 2019 die Rolle von Frauen und Mädchen stärker beleuchtet werden.

Organisiert wurde die Veranstaltung von Mitarbeiterinnen der Präventions- und Beratungsstelle PROvention. Diese begrüßten mit einführenden Worten die Teilnehmenden und leiteten über zum Auftaktvortrag „Mädchen und Frauen in der salafistischen Szene in Schleswig-Holstein“. Eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes Schleswig-Holstein stellte die regionale Situation dar.

In der salafistischen Szene in SH seien etwa zehn Prozent (ca. 60 Personen) der Protagonist_innen weiblich. Sei ihnen zunächst eine Opferrolle zugeschrieben worden, sehe man nun die aktive Beteiligung, die bis hin zur Ausreise und der bewussten Entscheidung zur Täterinnenschaft reiche. Weil die Aktionen von Frauen häufig nicht öffentlich bzw. eher im Hintergrund stattfänden, seien sie weniger sichtbar als die männlichen Protagonisten. Frauen würden vor allem die Ideologisierung der Kinder und frauenspezifische Missionierungstätigkeiten durchführen, d.h. in der Regel die Verbreitung von content in sozialen Medien und Messengerdiensten. Daneben nähmen sie in Schleswig-Holstein die Rolle als Organisatorinnen ein. Das heißt, dass sie gut vernetzt seien (z.B. in Schwesterngruppen) und spezielle Events durchführten.

Im folgenden Vortrag „Die Perle in der Muschel – Rollenverständnis im Salafismus und Anziehungskraft auf Mädchen und Frauen“ wurde vertiefend auf die Aspekte eingegangen, die das Phänomen attraktiv für die Protagonistinnen macht.

Im Salafismus gebe es eine komplementäre Rollenverteilung, wobei beiden Geschlechtern der gleiche Wert zugeschrieben werde. Frauen bekämen eine klare Rolle als Ehefrau und Mutter zugeschrieben und erhielten dafür Anerkennung. Daneben würden sie als Basis der Gemeinschaft und die Organisatorin im Hintergrund dargestellt. Dieses Rollenbild stehe aber im Konflikt zur gelebten Abwertung, wenn z.B. die Frau als Auslöserin von Fehlverhalten von Männern gelte und entsprechend eine Geschlechtertrennung und Verschleierung der Frau gefordert werde. Der Salafismus biete zudem für Frauen und Mädchen auch einen Ausweg in Bezug auf die erlebte Überforderung in der sogenannten Leistungsgesellschaft und die damit einhergehenden komplexen Rollenbilder. Außerdem könne der Salafismus eine Anziehungskraft für junge Menschen besitzen, die aus schwierigen familiären Kontexten stammen, da dort die Sehnsucht nach einer „heilen“ Umgebung, Geborgenheit und der Einnahme einer festen Rolle vermeintlich gestillt werden könne. Nicht zu unterschätzen sei auch das Motiv, eine Protestidentität aufbauen und sich einer Elite zugehörig fühlen zu können. Gerade die Integration in eine Schwesternschaft wirke identitätsstiftend und mache aufrichtige, wahre Freundschaft erfahrbar.

Der dritte Vortrag widmete sich den „Rückkehrerinnen aus der Perspektive der Strafjustiz“. Frau Dr. Bleiler, Staatsanwältin in der Referatsabteilung Terrorismus der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, stellte die Herausforderungen vor, die das Thema Rückkehrerinnen für die Strafjustiz bedeutet.

So befinde sich die Rechtssprechung zum Thema noch in der Entwicklungsphase, so dass nur eine Momentaufnahme gezeigt werden könne. Grundsätzlich könne das materielle Staatsschutzstrafrecht angewendet werden. Heranzogen würden Strafgesetzbuch und das Völkerstrafgesetzbuch und in diesen die Paragraphen, die terroristische Vereinigungen bzw. Kriegsverbrechen behandelten. Das heißt, dass ein Organisationszusammenhang geklärt sein müsse, z.B. eine Anbindung an den IS. Dies sei aber insbesondere bei Frauen oft schwer nachzuweisen. Hinzukomme, dass das Thema generell viele Herausforderungen mit sich bringe. So könne schon die Vorbereitung schwerer politisch motivierter Gewalttaten verfolgt werden. Dies sei der Tat soweit vorverlagert, dass die Vorbereitung schon sehr konkret geklärt sein müsse. So reiche z.B. die Ausreise nach Syrien nicht aus, um den Tatbestand zu erfüllen. Als schwierig gestalte sich auch die Bewertung der Sachverhalte, da sie im Ausland während des Bürgerkrieges geschehen seien. Das heißt, es gebe keine Rechtshilfe bzw. überhaupt Kontakte zu syrischen Behörden. Grundlegende Beschlüsse zum Umgang mit Frauen im IS hätten sich aber herauskristallisiert. So seien im Einzelfall „überschießende Handlungen“ nachzuweisen. Ein Leben im Kalifat oder die „Vergrößerung des Staatsvolkes“ reichten dazu nicht aus. Eine mitgliedschaftliche Beteiligung bzw. die Unterstützung des IS müsse klar gegeben sein. Das könne die passive Mitgliedschaft, das Generieren eines vereinsbezogenen Vorteils oder eine vereinstypische Tätigkeit sein. Als vereinstypisch würden hierbei z.B. Verwaltungs- oder Propagandatätigkeiten gelten, aber auch schon die Aufrechterhaltung der Kampfbereitschaft des Mannes oder die Annahme einer Geldleistung des IS.

Die Strafverfolgung von Rückkehrer_innen sei ein wichtiges Thema, weil es in den Bürgerkriegsgebieten über 1000 Personen mit Deutschlandbezug gebe, von denen etwa die Hälfte Staatsangehörige seien bzw. deren Lebensmittelpunkt in Deutschland gewesen sei. Davon seien 20-25% weiblich. Bisher seien etwa 200 Personen umgekommen und etwa 300 nach Deutschland zurückgekehrt. Etwa 100 befänden sich noch in Gewahrsam zusammen mit ihren Kindern.

Im Anschluss an die Vorträge fanden zwei Workshops statt. Frau Dr. Kulaçatan von der Goethe-Universität Frankfurt zeichnete „Eine feministische Sicht auf den Koran“ und das Kieler Antigewalt- und Sozialtraining befasste sich zusammen mit Kick-off tiefergehend mit der Rolle von „Mädchen und Frauen im aktuellen Salafismus und Rechtsextremismus“.

Frau Dr. Kulaçatan stellte zunächst klar, dass es nicht „Eine feministische Sicht auf den Koran“ gebe, weil Feminismus im Islam keine homogene Bewegung beschreibe und der Begriff z.T. auch abgelehnt werde, da er eine imperialistische Konnotation habe. Gemeinsam sei den Strömungen, dass sie Frauenrechte aus den religiösen Texten des Islams zögen und ihr gesellschaftliches Engagement im Rahmen des „Jihads“ (im Sinne von Bemühung, Anstrengung) legitimierten. Dem Konzept „Jihad“ liege zugrunde, dass der Mensch lernfähig sei und das Zusammenleben bereichernd und sinnvoll gestalten solle.

Im konservativen Diskurs gehe es den Protagonist_innen darum, die Rechte von Frauen zu betonen und den Mann eher in seiner Fürsorgepflicht zu sehen denn als Oberhaupt der Familie. Diesem Diskurs liege ein klar binäres Geschlechtsverständnis zugrunde und ein Aufweichen der sozialen Rollen werde abgelehnt. Eine Errungenschaft dieser Strömung sei aber die vorangetriebene sexuelle Aufklärung.

Die Protagonist_innen des liberalen Diskurses hätten die Grundannahme, dass der Islam eine revolutionäre und feministische Religion sei. Vor diesem Hintergrund sei ihr Kern die Gleichberechtigung, so dass Männer und Frauen die gleichen Rechte und Pflichten besäßen. Jedoch würden die patriarchalen Strukturen dagegen arbeiten. Es gehe damit den Vertreter_innen dieser Strömung darum, dass Geschlechterrollen neu ausgehandelt und nicht als starr wahrgenommen werden.

Einen Gegendiskurs zu den offiziellen Diskursen bilde der radikale Diskurs. Dieser beziehe die Ideen der anderen Strömungen mit ein, würden aber den Koran innerhalb der patriarchalen Strukturen verorten. Entsprechend fühlten sich die Anhänger_innen nicht an die strikte Form der Textinterpretation gebunden. Vielmehr würden sie sich an den universellen Werten der Menschenrechte orientieren und den Islam als ethische Autorität anerkennen.

Diese feministischen Diskurse seien im Kern die gleichen wie in anderen Religionen. Sie würden eine einseitige Lesart kritisieren und sich mit Machtasymmetrien der Geschlechter befassen.

Der Workshop zu „Mädchen und Frauen im aktuellen Salafismus und Rechtsextremismus“ setzte bei allgemeinen Rollenbildern und Klischees über Männern und Frauen an. Im Anschluss wurde tiefergehend die Rolle der Frau innerhalb der Szenen betrachtet. Diese spitze sich auf zwei gegensätzliche Pole zu: Einerseits die Frau als etwas Schützenwertes und andererseits als die Kämpferin. Beides seien Rollen, die in der Gesellschaft geringschätzt würden, sodass die Szenen diese Leerstellen füllen könnten. Entsprechend gebe es dort sowohl dominante als auch zurückhaltende Frauen. Zu finden sei in beiden Ideologien allerdings insbesondere die Überhöhung der Rolle der „Hausfrau“. Gemeinsam sei den beiden Szenen außerdem das Feindbild „Feminismus“, der eben gerade das Leben als Hausfrau abwerten würde.

Erarbeitet wurden im weiteren Verlauf Strategien, wie einer Zuwendung zu der jeweiligen der Szenen entgegengewirkt werden könne. Dabei sei es zunächst wichtig, die Abgrenzungswahrnehmung zu durchbrechen. Auf die Frauen und Mädchen solle zugegangen werden. Dabei gehe es auch um die Anerkennung verschiedener Rollen und der Diversität an Rollenbildern. Gleichzeitig sollten Möglichkeiten der Partizipation geschaffen und aufgezeigt werden. Nicht zu vernachlässigen sei auch die eigene Haltung. Wenn man die Szenen als rein männerdominiert sehe und Frauen eine aktive Rolle abspreche, könne man die Frauen auch nicht erreichen. Außerdem sei jeder Fall unterschiedlich gelagert, sodass man immer auf die individuellen Bedürfnisse eingehen müsse.

Als Fazit der Veranstaltung stand die Feststellung, dass Handlungsbedarf bestehe, sobald Rollenbilder starr würden und Druck ausgeübt werde, diese Bilder auszufüllen. Für die Präventionsarbeit gebe es mehrere Ansätze. So sei eine emanzipatorische und inklusive Mädchenarbeit sinnvoll, um die Selbstwirksamkeit und Eigenständigkeit zu stärken sowie Halt und Orientierung zu bieten.

Daneben sei es wichtig, Loyalitätskonflikte zu verhindern, da die Gefahr sehr hoch sei, die Frauen und Mädchen sonst zu verlieren. Gerade bei Müttern seien Angebote geeignet, die die Kinder unterstützen, um gemeinsame Ziele zu generieren. Hier sei der Zugang über die Kinder ein vielversprechender Weg, um Vertrauen aufzubauen.

 

Die Fachtagung wurde organisiert von:

 Präventions- und Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus in Schleswig-Holstein – PROvention

Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein e. V.

 

Tel.: 0431 – 73 94 926
E-Mail: provention@tgsh.de
Web: http://provention.tgsh.de