Der PROvention-Fachtag „Zwischen Klicks und Krisen – Islamismusprävention im digitalen Zeitalter“ am 06. November 2025 in Kiel bot die Möglichkeit für über 90 Fachkräfte, die aktuellen Herausforderungen der Präventionsarbeit im digitalen Raum zu beleuchten und gemeinsam neue Perspektiven zu entwickeln. Er wurde durch die einleitenden Worte des Landesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Schleswig-Holstein e. V., Dr. Cebel Küçükkaraca, eröffnet, der die Bedeutung unserer gemeinsamen Arbeit betonte und hervorhob, dass staatliche Maßnahmen zwar notwendig sind, Präventionsarbeit jedoch der entscheidende Schlüssel bleibt, um junge Menschen in ihrer digitalen Lebenswelt zu stärken. Zugleich würdigte er das zehnjährige Bestehen von PROvention und bedankte sich bei allen Förder*innen und Partner*innen für ihre langjährige Unterstützung. Diese Impulse bildeten den Auftakt für einen vielseitigen Fachtag, der Entwicklungen, Risiken und Chancen im digitalen Raum aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtete.
Kaan Orhon vom Grünen Vogel e.V. erinnerte daran, dass Islamismus nur im Verhältnis zu anderen Erscheinungsformen betrachtet werden kann und Rechtsextremismus weiterhin die größte Bedrohung darstellt. Er beschrieb einen deutlichen Generationenwechsel, da Jugendliche heute in einer Lebenswelt aufwachsen, die stark digital geprägt ist. Dabei sprach er von einer Entwicklung, in der neue Influencer*innen zu Türöffnern für Gruppen geworden sind, die zuvor kaum angesprochen wurden. Orhon betonte, dass der digitale Raum gesellschaftliche Tendenzen aufgreift und die eigentliche „Empfänglichkeit“ junger Menschen häufig offline entsteht, besonders dort, wo persönliche Unsicherheiten und fehlende demokratische Bindung zusammentreffen. Gleichzeitig zeigte er auf, dass vieles, was früher im öffentlichen Raum stattfand, heute in den digitalen Raum verlagert wurde.
Isabel Binzer von jugendschutz.net bestätigte diese Beobachtungen und erklärte, dass drastische dschihadistische Inhalte seltener geworden sind und zunehmend Darstellungen von Leid, Ungerechtigkeit und Alltagsproblemen dominieren. Extremistische Gruppen sind auf zahlreichen Plattformen vertreten und erreichen Jugendliche über ästhetische Kurzvideos, in denen Identität, Gemeinschaft und vermeintlich einfache Antworten vermittelt werden. Auch weibliche Zielgruppen werden stärker angesprochen. Binzer betonte, dass TikTok für viele Jugendliche eine zentrale Informationsquelle ist und dass hinter unauffälligen Formaten häufig demokratiefeindliche Botschaften stehen, die sich gegen vermeintlich fehlgeleitete Muslime oder gegen gesellschaftliche Vielfalt richten.
Zum Abschluss boten die Content-Creatorinnen von thecringemuzlims gemeinsam mit dem Kieler Film- und Medienwissenschaftler Felix Arnold einen lebendigen Einblick in ihre kreative und humorvolle Form der Präventionsarbeit. Ihr Ansatz basiert darauf, die Memesprache der Jugend aufzugreifen und darüber Zugänge zu schaffen, die informativ und gleichzeitig niedrigschwellig sind. Sie erzählten, dass viele ihrer Beiträge aus Reaktionen auf Hate-Kommentare entstehen und dass kurze humorvolle Inhalte die Aufmerksamkeit junger Menschen wecken, die anschließend auch die ausführlicheren erklärenden Texte lesen. Memes beschrieben sie als eine Form von „Insidern“, die Nähe schaffen und Interesse wecken. Auf die Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten betonten sie, wie wichtig Augenhöhe ist und dass es für viele Fachkräfte herausfordernd sein kann, sich in die digitale Kultur und die Perspektive junger Menschen hineinzuversetzen. Zudem betonten sie den Wert muslimischer Stimmen in der Präventionsarbeit.
Insgesamt zeigte der Fachtag, dass Prävention im digitalen Zeitalter vielfältig, kreativ und gut vernetzt sein muss und dass sie am wirksamsten ist, wenn Fachwissen, Lebensweltorientierung und digitale Strategien zusammenkommen. Im Laufe der kommenden Wochen werden die Inhalte der jeweiligen Referent*innen nachbereitet und in separaten Beiträgen auf der Website von PROvention zur Verfügung gestellt.
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